Multisense Institut: Mit Limbic® Sales machen Sie neurowissenschaftliche Erkenntnisse für den Verkaufsprozess fruchtbar. Im Blickpunkt: der emotional entscheidende Mensch. Gute Verkäufer mögen einwenden, dass sie ihre Kunden immer schon emotional ansprechen. Welchen Unterschied machen wissenschaftliche Erkenntnisse versus Bauchgefühl?
Helmut Seßler: Früher dachte man, es gäbe ein „Bauch-Gehirn“, aber das hat sich als falsch herausgestellt. Zwar wird bei emotionaler Erregung mehr Blut durch den Organismus gepumpt, darum kribbelt es auch im Bauch, was man wiederum als Bauchgefühl wahrnimmt – aber das Bauchgefühl sitzt eigentlich im Gehirn.
Bevor eine Information unser Großhirn erreicht, muss es das limbische System – unsere emotionale Zentrale – passieren. Dort wacht ein Türsteher, der entscheidet, was durchgelassen wird. Und das ist wiederum davon abhängig, wie ein Mensch emotional gepolt ist. Die Wissenschaft hat herausgefunden, dass es drei Grundtypen gibt. Sie werden grob aufgeteilt in Stimulanz-, Dominanz- und Sicherheits- bzw. Balancetyp. Der letzt genannte Bereich ist noch mal zweigeteilt in Menschen, denen vor allem Zahlen und Belege wichtig sind, und Menschen, für die der soziale Kontext an erster Stelle kommt.
Übertragen auf die Verkaufspraxis – ich spreche immer von 1:1, dem natürlichen Gespräch – agiert der Verkäufer aus dem Bauch heraus, sprich, nach eigenem Gefühl. Und damit trifft er auch, freut sich, wenn er jemanden „toll abgeholt“ hat, aber damit hat er noch lange nicht verkauft. Insofern heißt die Antwort: Wenn ich weiß, was dieser Türsteher bei welcher Person durchlässt, kann ich sie emotional wirklich erreichen. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse helfen also, mehr Sicherheit für die emotionale Ansprache zu bekommen.
Wie Sie auch in Ihrem Buch erwähnen, gibt es viele psychologische und soziologische Modelle, die auch für die Zielgruppendefinition genutzt werden. Warum ist Limbic® aus Ihrer Sicht besser als andere Ansätze für den Verkauf geeignet?
Es gibt Methoden in Hülle und Fülle, aber häufig decken sie nicht den gesamten Motiv- und Werteraum ab, der allerdings die Grundlage unseres Handelns bildet. Die von Dr. Häusel entwickelte Limbic® Map ordnet den oben erwähnten Grundtypen verschiedene Werte und Motive zu – das ist mehr als eines der herkömmlichen Verhaltensmodelle leistet – und von entscheidender Bedeutung: Denn Motivation entsteht erst dann, wenn ich etwas, das für mich wertig ist, erreichen bzw. besitzen möchte.
Der für mich interessanteste Aspekt ist: Wenn ich weiß, welche Werte jemand hat, weiß ich auch, was für ein Typ er ist. Oder andersherum: Wenn ich weiß, welcher Typ jemand ist, kann ich schon vorahnen, welche Wertestruktur er hat und differenzierter darauf eingehen. Das ist für mich der Vorteil dieses Modells: mit gezielten Fragen noch stärker die Werte meines Gegenübers avancieren zu können.
Wie erkennt man, dass ein Kunde z.B. vor allem vom Stimulanz-System geleitet wird, und wie swingt man sich im Verkaufsgespräch auf diesen Typus ein?
Erste Zuordnungen kann ich natürlich über den äußeren Ausdruck bzw. Eindruck vornehmen. Jemand, der kreativ, neugierig, trendorientiert ist, kommt beispielsweise nicht mit Krawatte und Hut. Der Balance-Typ trägt eher klassische Sachen, der Dominanztyp z.B. Manschettenknöpfe, Rolex usw. Das gibt ein erstes kleines Bild, das natürlich auch täuschen kann – denken Sie z.B. an jemanden im schwarzen Anzug und mit roter Krawatte, der könnte sowohl ein Dominanz- als auch ein Mischtyp sein.
Kleidung, Bewegung, Sprechgeschwindigkeit – all das sind Hinweise, aber am besten höre ich den Typus aus dem Wording heraus. Ein Beispiel: Wenn mir jemand erzählt, Neuromarketing sei ein toller neuer Ansatz, gehe leicht von der Hand, helfe, mehr zu verkaufen usw. – dann höre ich: „leicht“, „mehr“, „neu“, ein Wording, das eher den Stimulanztypus charakterisiert. Stellt er hingegen die wissenschaftliche Absicherung heraus, nennt Studien und Zahlen, spricht das sicherheitsorientierte Balancesystem aus ihm. Und der dritte betont, dass Neuromarketing die Dinge auf den Punkt bringe, nach Schulung direkt einsetzbar sei, umgehend schnellere und bessere Verkaufserfolge erziele. Das sind typische Aussagen aus dem Dominanz-Bereich: „schnell“, „exakt“, „Power“, „machen“! Das heißt, zu bestimmten Motiv- und Wertebereichen gehören auch gewisse Worte, Verben und Adjektive.
Insofern ist es sehr spannend, sich einfach mal wieder anzugewöhnen, Fragen zu stellen und wirklich hin- und zuzuhören bzw. hineinzuhören. Verkäufer wissen eigentlich, wie wichtig das ist und dass sie 70/80 Prozent zuhören, 20/30 Prozent präsentieren sollten, machen es oft aber genau umgekehrt.
Sie betonen, wie wichtig die Selbsterkenntnis ist, um sich auf andere einstellen zu können. Aus Ihrer langjährigen Erfahrung: mit die schwierigste Übung?
Ja, das ist wirklich die schwierigste Übung, aber auch mit die interessanteste. Die Menschen in unseren Seminaren sind ja offen und lernbereit. Und sie lernen tatsächlich, ihr Gegenüber spiegeln zu können und ihn damit zu erreichen. „Spiegeln“ ist ein Ausdruck aus der Psychologie, die NLPler nennen es „Rapport“, und Prof. Joachim Bauer, Neurobiologe und Psychotherapeut, erklärt die Spiegelneuronen als Basis dieser Fähigkeit. Wir spüren, was der andere macht und können entsprechend darauf reagieren, ihn also spiegeln. Alles meint das gleiche.
Wenn ich unbewusst agiere, mich nicht kenne und womöglich schlecht drauf bin und so auf einen Kunden zugehe, dann spürt dieser auch ohne Worte, was mit mir los ist. Führt man den Menschen solche oder andere nicht unbedingt verkaufsfördernde Verhaltensweisen vor Augen und analysiert gemeinsam die Situation, verstehen sie auch, warum und ändern etwas.
Und darum ist es auch entscheidend, dass ich erst einmal mit mir selbst gut umgehe. Dass ich weiß, wer ich bin. Antworten auf die Frage habe: Welche Wert- und Glaubenssätze muss und will ich im Verkauf leben, und nicht nur dort, sondern generell in meinem Leben? Denn das prägt natürlich mein Auftreten, und zwar mein nonverbales. Botschaften werden zu fast 90 Prozent nonverbal übertragen. Extrem hohe Werte! Entscheidend ist nicht nur, „was“ ich sage, sondern „wie“ ich es sage und wie dieses „was“ beim Gegenüber ankommt. Den höchsten Lerneffekt erzielen wir immer, wenn die Seminarteilnehmer verstanden haben, wie wichtig es ist, in die Welt des Menschen vis-a-vis zu kommen.